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Antipsychotika

Antipsychotika werden nicht nur zur Behandlung schizophrener und schizoaffektiver Psychosen bzw. psychotischer Symptome bei organischen Erkrankungen, sondern auch zur Behandlung bipolarer Störungen und therapieresistenter Depressionen eingesetzt. Zwar werden Zweit-Generations-Antipsychotika („atypische Antipsychotika“) wie Clozapin, Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon oder Ziprasidon bevorzugt eingesetzt, Erst-Generations-Antipsychotika („typische Antipsychotika“) wie Haloperidol, Chlorprothixen, Flupentixol, Melperon, Perazin und Zuclopenthixol sind diesen aber hinsichtlich Wirkstärke und Nebenwirkungsprofil nicht unterlegen. Es wurde in mehreren Studien gezeigt, dass z. B. die Darstellung, nur „typische“ Antipsychotika würden extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen verursachen, eine übertriebene Vereinfachung ist. Es gibt aber Hinweise für eine bessere Verträglichkeit von Zweit-Generations-Antipsychotika.

Therapien unter Kontrolle des therapeutischen Wirkspiegels erlauben ein schnelleres und sichereres Erreichen des therapeutischen Zieles. Hierdurch wird das Auftreten schwerwiegender, spiegelabhängiger Nebenwirkungen, wie z. B. Herzrhythmusstörungen oder anticholinerge Symptome, minimiert, was letztlich eine höhere Remissionsrate durch Optimierung der Verträglichkeit und damit der Compliance ergibt.

Allgemeine Regeln zur Wirkstoffspiegel-Bestimmung

Medikamentenspiegel sollten prinzipiell im Steady State (Fließgleichgewicht) und Talspiegel bestimmt werden. Ein Steady state wird nach Ablauf von 5 Eliminations-Halbwertzeiten des verabreichten Wirkstoffes erreicht. Den Talspiegel erreichen Sie mit einer Blutabnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme. Bei Depotpräparaten sollte die Blutnahme vor erneuter Gabe der Depotinjektion erfolgen.

Insbesondere wird eine Bestimmung des Wirkstoffspiegels im Serum angeraten bei:

  • fehlendem, vermindertem oder verzögertem Therapieerfolg
  • erneuter Symptomverschlechterung
  • Fragen hinsichtlich der Patientencompliance
  • Komorbiditäten
  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder Anzeichen toxischer Wirkungen
  • Polymedikation bzw. Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen
  • Verdacht auf genetische Polymorphismen im Arzneimittelstoffwechsel.

Pharmakologische Wirkung

Antipsychotika vermindern insbesondere produktiv-psychotische Symptome (Positiv-Symptome) wie psychomotorische oder affektive Anspannung bzw. wahnhaftes und halluzinatorisches Erleben. Diese Wirkung korreliert mit der Hemmung von Dopamin D2-Rezeptoren, aber auch weitere Rezeptoren und Neurotransmittersysteme (z. B. Serotonin) sind in diese Prozesse involviert. Hinsichtlich der Wirkung auf die Negativ-Symptomatik schizophrener Psychosen wie sozialer Rückzug, Apathie und kognitive Einbußen gibt es Hinweise auf einen Wirkvorteil von Zweit-Generations-Antipsychotika. Dieser Effekt scheint möglicherweise im Zusammenhang mit der Blockade von Serotonin-Rezeptoren zu stehen, ist aber bisher nur in Ansätzen verstanden.

Aus der effektiven Blockade von Dopamin D2-Rezeptoren ergeben sich die charakteristischen unerwünschten Wirkungen in Form von extrapyramidalmotorischen Störungen und der Dysregulation des endokrinen Systems (z. B. Anstiegs des Prolaktinspiegels). Hier zeigen Zweit-Generations-Antipsychotika möglicherweise einen Vorteil, da diese wegen der ebenfalls antipsychotisch wirksamen Inhibition von Serotonin-Rezeptoren häufig niedriger dosiert werden können.

Mehrere Wirkstoffe haben ausgeprägt sedierende bzw. vegetativ dämpfende und anticholinerge Eigenschaften in Folge der Blockade von Histamin-, Noradrenalin- und Acetylcholin-Rezeptoren. Sedierende Zweit-Generations-Antipsychotika mit hoher Affinität für den Histamin H1- und Serotonin 2A-Rezeptor (z. B. Clozapin, Olanzapin und Quetiapin) zeigen dabei ein hohes Risiko für Gewichtszunahme bis zur Induktion eines metabolischen Syndroms.

Antipsychotika interagieren vor allem bei hohen bzw. toxischen Wirkspiegeln auch mit kardialen Ionenkanälen, weswegen sie ein proarrhythmogenes Risiko für die Entstehung von Torsade de pointes (TdP) Arrhythmien (bzw. für QTc-Zeit Verlängerung) tragen.

Pharmakokinetik

Nach oraler Gabe werden Antipsychotika, abhängig von dem eingesetzten Wirkstoff, mit maximalen Serumkonzentrationen innerhalb von 1-12 Stunden resorbiert. Antipsychotika werden vorrangig hepatisch metabolisiert. Nach Oxidation und Konjugation mit Glukuronsäure werden die wasserlöslichen Metabolite überwiegend renal ausgeschieden. Ausnahmen stellen Amisulprid, Paliperidon und Sulpirid dar, die in erster Linie renal eliminiert werden.

Die klinisch relevanten Details zu Pharmakokinetik, Wirkspiegel bzw. Enzyme des Metabolismus sind in Tabelle 1 (Seite 3) dargelegt. Für Aripiprazol, Flupenthixol, Haloperidol, Olanzapin, Paliperidon, Risperidon und Zuclopenthixol sind Depot-Formulierungen etabliert worden.

Tabelle 1
Wirkstoff
Muttersubstanz - Metabolit
Therapeutischer Bereich
Eliminations-
Halbwertzeit
Frühester Zeitpunkt des Steady State
Hauptenzyme des
Stoffwechsels
(inklusive Metabolite)
Amisulprid1 Amisulprid 100 - 320 μg/l 12 - 20 h 3 - 5 d renale Elimination
Aripiprazol2 Aripiprazol 100 - 350 μg/l 60 - 146 h 13 - 17 d* CYP2D6, CYP3A4
Aripiprazol2 Dehydroaripiprazol       CYP2D6, CYP3A4
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* CYP2C19 und CYP2D6 zeigen bei ca. 10 % der Bevölkerung klinisch relevante genetische Polymorphismen, die die Enzymaktivität deutlich steigern oder vermindern. Die Zeit bis zum Steady state kann daher deutlich kürzer oder länger sein.
** Der Wirkspiegel bezieht sich auf die Summe aus Muttersubstanz und aktivem Metaboliten.
1,2 Die jeweiligen Wirkstoffe werden methodenbedingt analytisch ohne Zusatzkosten mitbestimmt.

Arzneimittelinteraktionen

Antipsychotika werden überwiegend durch Cytochrom CYP450-Enzyme hepatisch metabolisiert, woraus ein hohes Interaktionspotential resultiert. Medikamente, die durch Inhibition oder Induktion von Cytochrom CYP450-Enyzmen in besonderem Ausmaß den Wirkspiegel von Antipsychotika beeinflussen können, sind:

  • Inhibitoren von CYP1A2 (insbesondere Fluvoxamin, sowie Ciprofloxacin, Perazin, Stiripentol, Vemurafenib und weitere)
  • Induktoren von CYP1A2 (insbesondere Rauchen, sowie Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Ritonavir, Rifampicin und weitere)
  • Inhibitoren von CYP2C19 (insbesondere Fluconazol, sowie Fluoxetin, Fluvoxamin, Moclobemid, (Es)Omeprazol, Stiripentol, Voriconazol und weitere)
  • Inhibitoren von CYP2D6 (insbesondere Fluoxetin, Paroxetin, Chinidin, Tipranavir, sowie Bupropion, Cinacalcet, Darifenacin, Darunavir, Duloxetin, Levomepromazin, Moclobemid, Melperon, Rolapitant, Thioridazin und weitere)
  • Inhibitoren von CYP3A4 (insbesondere Makrolide, Azol-Antimykotika Protease-Inhibitoren, sowie Aprepitant, Conivaptan, Crizotinib, Diltiazem, Dronedaron, Imatinib, Verapamil, Naringin/ Grapefruitsaft und weitere)
  • Induktoren von CYP3A4, bzw. CYP2C19 (insbesondere Carbamazepin, Enzalutamid, Lumacaftor, Mitotan, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Rifampicin, sowie Bosentan, Modafinil, Eslicarbazepin, Efavirenz, Oxybutinin, Johanniskraut und weitere).

Pharmakodynamische Interaktionen können sich bzgl. sedierender und proarrhythmischer Eigenschaften ergeben, z. B. mit Alkohol, Antihistaminika, Barbiturate, Benzodiazepine/ Hypnotika, trizyklische Antidepressiva, Makrolide, Chinolone, Amiodaron, Flecainid und Propafenon.

Bei deliranten Syndromen unter Therapie mit Dopaminagonisten oder L-Dopa/ Benzerazid/ Carbidopa (M. Parkinson) sollte möglichst niedrig-dosiertes Clozapin oder Quetiapin verwendet werden, um eine gegenseitige pharmakodynamische Wirkungsabschwächung zu verhindern, da diese eine niedrige Affinität zum Dopamin D2-Rezeptor aufweisen.

Die Resorption von Ziprasidon ist bei Einnahme mit der Nahrung wesentlich sicherer als nüchtern.

Genetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)

Antipsychotika werden durch CYP1A2, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A4 der CYP450-Familie verstoffwechselt. Für CYP2C19 und CYP2D6 sind bei bis zu 10 % der Bevölkerung genetische Varianten beschrieben, die zu einer ausgeprägten und klinisch relevanten Steigerung bzw. Verminderung der Enzymaktivität führen. Somit können diese einen entscheidenden Einfluss auf den Wirkspiegel von Antipsychotika haben. Das Verhältnis Metabolit zu Muttersubstanz kann bei einigen Medikamenten (z. B. Risperidon) bereits phänotypisch erste Anhaltspunkte für eine genetische Variante von CYP-Enzymen oder eine relevante Arzneimittelinteraktion geben.

Anforderung und Befundbewertung

Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln beinhaltet sowohl die Interpretation der Konzentrationen in Bezug auf den empfohlenen therapeutischen Bereich als auch die Beurteilung der applizierten Dosis, der Begleitmedikation und weiterer Erkrankungen. Um die dafür notwendigen Informationen zu erhalten, bitten wir Sie deshalb, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden. Es werden methodenbedingt mit einer Anforderung jeweils mehrere der aufgeführten Wirkstoffe analytisch erfasst, wie in Tabelle 1 dargelegt.

Abrechnung

Die Medikamentenspiegelbestimmung ist im kurativen Fall ohne Einschränkung im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten. Pharmakogenetische Untersuchungen werden von privaten und bei einigen Indikationen (siehe Anforderungsschein Medikamentenspiegelbestimmung/ Pharmakogenetik) auch von gesetzlichen Kassen getragen. Für die mitanalysierten Wirkstoffe einer diagnostischen Gruppe entstehen keine zusätzlichen Kosten.

Material

Wirkstoffbestimmung:
Serum/Vollblut (Blutentnahme im Steady State unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)

Pharmakogenetik:
EDTA-Blut oder Schleimhautabstrich

Ansprechpartner

Ihre Ansprechpartner für die Wirkstoff­bestimmung und pharmakologische Bewertung:

Dr. med. Frank-Peter Schmidt
Dr. rer. nat. Steffen Bauer
Dr. med. Jakob Adler

Literatur

  1. Hiemke et al., Consensus Guidelines for Therapeutic Drug Monitoring in Neuropsychopharmacology: Update 2017, Pharmacopsychiatry, 2017
  2. S3 Leitlinien zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen 2012, AWMF-Register-Nr.: 038-019
  3. S3 Leitlinien Schizophrenie 2005, AWMF-Register-Nr.: 038-009
  4. S3-Leitlinie / Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Schizophrenie, 2018, AWMF-Register-Nr.: nvl-010
  5. Goodman and Gilman’s The Parmacological Basis of Therapeutics 12th Edition, McGrawHill, 2011
  6. Fachinformationen der Hersteller (Amisulprid: Solian, Sanofi, Stand 03/2016; Aripiprazol: Abilify, Otsuka, Stand 10/2016; Chlorprothixen: Truxal, Lundbeck, Stand 10/2014; Clozapin: Leponex, Mylan, Stand 07/2016; Haloperidol: Haldol, Janssen-Cilag, Stand 02/2015; Levomepromazin: Neurocil, Desitin, Stand 07/2016; Melperon: Meperon-ratiopharm, ratiopharm, Stand 11/2015; Olanzapin: Zyprexa, Lilly, Stand 09/2016; Paliperidon: Invega, Janssen-Cilag, Stand 05/2015; Perazin: Taxilan, Lundbeck, Stand 04/2013; Pipamperon: Pipamperon-neuraxpharm, neuraxpharm, Stand 09/2012; Promethazin: Atosil, Desitin, Stand 02/2014; Quetiapin: Seroquel, AstraZeneca, Stand 05/2016; Risperidon: Risperdal, Janssen-Cilag, Stand 05/2015; Sertindol: Serdolect, Lundbeck, Stand 11/2014; Sulpirid: Dogmatil, Sanofi, Stand 03/2016; Thioridazin: Melleril, TEVA, Stand 01/2014; Ziprasidon: Zeldox, Pfizer, Stand 06/2016; Zuclopenthixol: Ciatyl-Z, Bayer, Stand 07/2013)

 

Autor

Dr. med. Dr. rer. nat. Leif Gerrit Hommers / Revision 2024 Dr. med. Jakob Adler

 

Stand

März 2024

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