Mit dem Begriff Hyperandrogenämie werden erhöhte Blutspiegel männlicher Geschlechtshormone beschrieben. Diese können Folge einer vermehrten Bildung oder Ausschüttung sowie eines verminderten Abbaus sein. Klinisches Korrelat bei Frauen im Erwachsenenalter sind häufig Hirsutismus, Akne, Alopezie, Zyklusstörungen oder ein unerfüllter Kinderwunsch. Eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Ursachen anhand der klinischen Symptomatik ist nicht möglich. Deshalb kommt der Bestimmung von Steroidhormonen und deren Vorläufern im Serum ein zentraler Schritt in der differentialdiagnostischen Abklärung zu.
Androgene werden vor allem in den Gonaden, darüber hinaus auch in der Nebennierenrinde sowie der Plazenta gebildet. Ihre Vorstufen (z. B. Androstendion) können außerdem in peripheren Geweben in aktive Androgene (Testosteron, Dihydrotestosteron) umgewandelt werden. Die beiden häufigsten Ursachen der Hyperandrogenämie sind das Polycystische Ovarsyndrom (PCO) sowie das nicht-klassische adrenogenitale Syndrom (AGS) auf Grund einer verminderten 21-Hydroxylase(CYP21A2)-Aktivität. Deutlich seltener als Ursache zu nennen sind androgensezernierende Tumore, ovarielle Hyperthekosen oder Störungen weiterer Enzyme der Steroidhormonbiosynthese, insbesondere der 11β-Hydroxylase (CYP11B1), der 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 (HSD3B2) und der Hexose-6-Phosphat-Dehydrogenase. Während die Ursache für das PCO multifaktoriell ist, konnten auf molekularer Ebene verschiedene Mutationen der 21-Hydroxylase identifiziert werden, die die Enzymaktivität in unterschiedlichem Ausmaß vermindern. In der Regel liegt bei einem nicht-klassischen AGS eine Homozygotie für Mutationen ohne vollständigen Funktionsverlust oder eine heterozygote Mutations-Trägerschaft vor. Heterozygote Mutationsträger können aber auch klinisch Symptome der Hyperandrogenämie zeigen, ohne dass eine eindeutige Erhöhung von Androgenen im Serum labordiagnostisch nachgewiesen werden kann. In der Differentialdiagnose zwischen PCO und nicht-klassischem AGS erlaubt die Bestimmung von 21-Desoxycortisol die Rate an falsch-positiven Befunden gegenüber der konventionellen, alleinigen Betrachtung des 17-OH-Progesterons deutlich zu vermindern, denn 21-Desoxycortisol wird in der Nebenniere vermehrt nur bei verminderter Aktivität der 21-Hydroxylase gebildet.
Mittels der in unserem Labor etablierten Methodik können Steroidhormone und ihre Vorstufen mit höchster Sensitivität und Spezifität nachgewiesen werden. Dies ist mit klassischen Immunoassays- bisher nur eingeschränkt möglich gewesen. Methodenbedingt werden Aldosteron, Androstendion, Cortisol, Cortison, Corticosteron, 11-Desoxycortisol, 11-Desoxycorticosteron, DHEAS, DHEA, 17α-Hydroxyprogesteron (17-OH-Progesteron), Progesteron und Testosteron im Serum gleichzeitig bestimmt. Sie erhalten daher ein umfassendes Abbild der Funktionalität der am Steroidmetabolismus beteiligten Enzyme ohne zusätzliche Kosten.
Eine Hyperandrogenämie besteht labordiagnostisch bei Nachweis erhöhter Serumspiegel von Testosteron, Androstendion und/ oder DHEAS. Die Referenzwerte sind alters- und geschlechtsabhängig.
Eine Erhöhung von 21-Desoxycortisol und 17-OH-Progesteron im Verhältnis zu Cortisol ist ein Hinweis auf eine verminderte Aktivität der 21-Hydroxylase. Gleichzeitig sollten 11-Desoxycorticosteron und 11-Desoxycortisol im Normbereich liegen. Liegt eine Erhöhung von 11-Desoxycortisol und 11-Desoxycorticosteron bzw. Corticosteron vor, weist diese Konstellation auf einen 11-Hydroxylase-Mangel hin, dem zweithäufigsten, aber dennoch sehr seltenen Enzymdefekt der adrenalen Steroidhormonsynthese.
Zur weiteren Bestätigung des Verdachts auf ein nicht-klassisches AGS wird ein ACTH-Stimulationstest empfohlen. Besteht keine überproportionale Erhöhung von 21-Desoxycortisol und 17-OH-Progesteron im Verhältnis zu Cortisol nach Injektion von 250 µg ACTH wird sogar eine Sensitivität und Spezifität von ca. 90 % bzw. ein negativer prädiktiver Wert von 99,8 % bzgl. einer heterozygoten Mutation im Gen der 21-Hydroxylase (CYP21A2) erreicht.1
Die zeitgleiche Bestimmung von Cortisol und Cortison ergibt zusätzlich einen differentialdiagnostischen Hinweis auf das Vorliegen eines Cushing-Syndroms, das ebenfalls als Ursache einer Hyperandrogenämie in Betracht kommt. Diese Diagnostik kann außerdem auch aus dem Speichel erfolgen. Weitere Informationen finden Sie hierzu auf unserer Website in der Fachinformation „Abklärung Hyperkortisolismus im Speichel“.
Zur weiteren Diagnosesicherung können genetische Untersuchungen erfolgen. Sollten Sie dies wünschen bitten wir um Kontaktaufnahme mit uns.
Da der Serumspiegel von Steroidhormonen (insbesondere Cortisol und 17-OH-Progesteron) ACTH-abhängig einer zirkadianen Rhythmik unterliegt, sollte die Blutabnahme am Morgen gegen 08:00 erfolgen. Auf Grund der Zyklusabhängigkeit von 17-OH-Progesteron ist die Durchführung der Untersuchung in der frühen follikulären Phase von Vorteil. Bitte fordern Sie auf dem Anforderungsschein die Bestimmung von 21-Desoxycortisol an und vermerken gegebenenfalls die Durchführung eines ACTH-Tests mit dem Zeitpunkt der Blutentnahme nach ACTH-Gabe. Die Bewertung kann nur unter Kenntnis der klinischen Symptomatik und des klinischen Befundes erfolgen.
Die Bestimmung von 21-Desoxycortisol (LC-MS/MS) ist ohne Einschränkung im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten.
Die Bestimmung der Steroidhormone erfolgt aus dem Serum. Gelhaltige Monovetten sollten als Blutabnahmebehältnisse vermieden werden, da eine Interferenz mit der Methodik vorliegt, weshalb in diesem Fall keine zuverlässigen Aussagen möglich sind.
Die Referenzbereiche entnehmen Sie bitte dem Befund.
Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva kann (in Abhängigkeit von der pharmakologischen Zusammensetzung) den Serumspiegel von Cortisol erhöhen und die Serumspiegel von Androstendion, 11-Desoxycorticosteron, Progesteron und 17-OH-Progesteron, sowie in geringem Ausmaß auch von Corticosteron vermindern. Während der lutealen Phase des Zyklus sind die Serumspiegel von Progesteron und 17-OH-Progesteron deutlich erhöht. 17-OH-Progesteron und 21-Desoxycortisol sind bei arterieller Hypertension in geringem Ausmaß höher.
Ihre Ansprechpartner für die Wirkstoffbestimmung und pharmakologische Bewertung:
Literatur
Autor
Dr. med. Dr. rer. nat. Leif Gerrit Hommers / Revision 2024 Dr. med. Frank-Peter Schmidt
Stand
März 2024