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Benzodiazepine

Die Verschreibung von Benzodiazepinen ist rückläufig, was in erster Linie mit der Abhängigkeits- und Missbrauchsproblematik in Zusammenhang steht. Flunitrazepam unterliegt daher auch seit 2011 dem BtM-Gesetz. Sedierende Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) oder Antipsychotika (z. B. Quetiapin) werden zunehmend häufiger in den klassischen Indikationen Anxiolyse und Schlafinduktion als Alternativen eingesetzt. Benzodiazepine sind aber weiterhin Mittel der Wahl zur Behandlung akuter Angst­zu­stände oder Schlaf­störungen; Z-Substanzen sind daher auch die am häufigsten verschriebenen Hypnotika. Bei Fragen hinsichtlich Compliance, Toleranz und Ab­hängig­keit, sowie zur Miss­brauchs­analytik in Blut und Urin ermöglicht therapeutisches Drug Monitoring (TDM) einen wesentlichen Beitrag in der diagnostischen Abklärung.

Allgemeine Regeln zur Wirkstoffspiegel-Bestimmung

Medikamentenspiegel sollten prinzipiell im Steady State (Fließgleichgewicht) und Talspiegel bestimmt werden. Der Steady State wird nach Ablauf von 5 Eliminations-Halbwertzeiten des verabreichten Wirkstoffes erreicht. Den Talspiegel erreichen Sie mit einer Blutabnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme.

Insbesondere wird eine Bestimmung der Wirkstoffkonzentration im Serum angeraten bei:

  • fehlendem, vermindertem oder verzögertem Therapieerfolg
  • erneuter Symptomverschlechterung
  • Fragen hinsichtlich der Patientencompliance
  • Komorbiditäten
  • unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder Anzeichen toxischer Wirkungen
  • Polymedikation bzw. Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen
  • Verdacht auf genetische Polymorphismen im Arzneimittelstoffwechsel
  • Fragen hinsichtlich der Patientencompliance oder eines Missbrauchs

Die therapeutischen Bereiche beziehen sich üblicherweise auf den Talspiegel im Steady State, entweder für einzelne
Wirkstoffe (z. B. bei Lorazepam) oder die Summe von Muttersubstanz mit allen aktiven Metaboliten (z. B. bei Diazepam).
Für Benzodiazepine, die primär in hypnotischer Indikation eingesetzt werden (z. B. Temazepam) oder die Z-Substanzen
(z. B. Zolpidem) sind Talspiegel im Steady State nicht durchgängig definiert und reflektieren nicht die schlafinduzierende Wirkung. Hier bezieht sich der therapeutische Bereich auf den (hypnotischen) Spitzenspiegel 1-2 Stunden nach Einnahme. Soll TDM bei diesen Wirkstoffen für Fragestellungen zur Restwirkung am Morgen bzw. über den Tag (z. B. hinsichtlich Fahrtüchtigkeit, Hangover-Phänomene oder Tätigkeiten in Gefahrenbereichen) eingesetzt werden, bitten wir um Rücksprache zur diesbezüglichen Befundung.

Pharmakologische Wirkung

Benzodiazepine und Z-Substanzen (Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon) sind allosterische Aktivatoren von GABAA-Rezeptoren.
Sie üben selber keine direkt aktivierende Wirkung auf die Rezeptoraktivität aus, sondern verstärken die Wirkung
von endogenem GABA am GABAA-Rezeptor. Gegenüber GABAA-Agonisten (z. B. Barbituraten wie Phenobarbital oder Injektionsnarkotika wie Propofol) zeigen sie eine große therapeutische Breite und können spezifisch durch Flumazenil
antagonisiert werden.

Die pharmakologische Wirkung von Benzodiazepinen ist angstlösend-euphorisierend, sedativ-hypnotisch, muskelrelaxierend
und antiepileptisch. Welche Wirkung überwiegt, hängt insbesondere vom Wirkspiegel und von den pharmakokinetischen
Eigenschaften der einzelnen Wirkstoffe ab. Besonders relevant erscheinen die Geschwindigkeit der Anflutung und das
Konzentrationsmaximum im ZNS, sowie die Abflutung aus dem ZNS mit Umverteilung in andere Kompartimente und die Verstoffwechselung in pharmakologisch aktive Metabolite. Es gibt Hinweise, dass die Affinität der einzelnen Wirkstoffe
zum GABAA-Rezeptor in verschiedenen Strukturen des Gehirns durch die genaue Zusammensetzung der Untereinheiten des Rezeptors pharmakologische relevant beeinflusst werden kann.

Die wesentlichen Nebenwirkungen leiten sich ebenfalls von der Steigerung der GABA Wirkung ab, wie z. B. Müdigkeit,
Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen bzw. Amnesie, Störungen der Koordination und Motorik bis hin zur Ataxie
oder Verwirrtheit. Vereinzelt haben Wirkstoffe charakteristische unerwünschte Wirkungen wie z. B. schwere allergische Hauterscheinungen bei Tetrazepam, was Grund für dessen Marktrücknahme im Jahr 2013 war.

 

Pharmakokinetik

Nach oraler Gabe werden Benzodiazepine typischerweise rasch und nahezu vollständig mit maximalen Serumkonzentrationen
innerhalb von 0,5 – 3 Stunden resorbiert. Die Elimination erfolgt vorwiegend hepatisch, wobei die liminationshalbwertzeiten der einzelnen Wirkstoffe deutlich variieren (Stunden bis mehrere Tage). Benzodiazepine werden meistens durch Cytochrom CYP450-Enzyme (bevorzugt CYP3A4/5 und CYP2C19) hydroxyliert und danach durch UDP-Glucuronosyltransferasen (UGT) glucuronidiert. Ausnahmen bilden Lorazepam, Oxazepam und Temazepam, die direkt glucuronidiert werden, und Clonazepam, welches überwiegend durch NAT2 acetyliert wird.

Für die tatsächliche Wirkdauer von Benzodiazepinen ist zu beachten, dass neben der Eliminationshalbwertszeit die Halbwertszeit der Umverteilung aus dem ZNS in andere, langsamer durchblutete Gewebe eine entscheidende Rolle spielt. Daher ist die z.B. die hypnotische Wirkung von Diazepam kürzer als seine Eliminationshalbwertszeit.

Von besonderer Relevanz ist, dass die ineinanderlaufende Verstoffwechselung von Medazepam, Diazepam, Chlordiazepoxid, Prazepam und Dikaliumclorazepat über Nordiazepam, Temazepam und Oxazepam zahlreiche aktive Metabolite beinhaltet, die oftmals eine längere Halbwertzeit als die Ausgangssubstanz haben und daher eine Akkumulation begünstigen können.

Die klinisch relevanten Details zu Pharmakokinetik, Wirkspiegel bzw. Enzyme des Metabolismus sind in Tabelle 1 dargelegt.

Wirkstoff
Muttersubstanz - Metabolit
Therapeutischer Bereich
Eliminations-Halbwertzeit
Frühester Zeitpunkt des Steady State
Hauptenzyme des Stoffwechsels (inklusive Metabolite)
AlprazolamAlprazolam5-50 μg/l (Therapie von Schlafstörungen)
20-40μg/l (Panikattacken)
12 - 15 h3 - 4 dCYP3A4/5, CYP2C19
BromazepamBromazepam50-200 μg/l15 - 35 h3 - 7 dCYP2C19, CYP3A4, CYP1A2
ChlordiazepoxidChlordiazepoxidΣ 400 - 3000 µg/l** 5 - 30 h14 - 21 dCYP3A4/5, CYP2C19, UGT
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* Der therapeutische Bereich gibt den Spitzenspiegel an.
** Der Wirkspiegel bezieht sich auf die Summe aus Muttersubstanz und aktivem Metaboliten.

Arzneimittelinteraktionen

Pharmakokinetische Interaktionen von Benzodiazepinen können aus Interaktionen mit dem Cytochrom CYP450-Enzymen
und UDP-Glucuronosyltransferasen (UGT) resultieren. Dies betrifft insbesondere CYP3A4/5 und CYP2C19. An der Glucuronidierung sind mehrere UGT-Enzyme beteiligt (vor allem UGT2B15, sowie UGT1A4, UGT1A9, UGT2B4 und UGT2B7). Medikamente, die durch Inhibition oder Induktion von CYP450 bzw. UGT die Wirkungen und Nebenwirkungen von Benzodiazepinen beeinflussen und somit zu Interaktionen führen können, sind:

  • Inhibitoren von CYP2C19 (insbesondere Fluconazol, sowie Fluoxetin, Fluvoxamin, Moclobemid, (Es)Omeprazol,
    Stiripentol, Voriconazol und weitere)
  • Inhibitoren von CYP3A4 (insbesondere Makrolide, Azol-Antimykotika Protease-Inhibitoren, sowie Aprepitant, Conivaptan, Crizotinib, Diltiazem, Dronedaron, Imatinib, Verapamil, Naringin/ Grapefruitsaft und weitere)
  • Induktoren von CYP3A4, bzw. CYP2C19 (insbesondere Carbamazepin, Enzalutamid, Lumacaftor, Mitotan,
    Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Rifampicin, sowie Bosentan, Modafinil, Eslicarbazepin, Efavirenz, Oxybutinin,
    Johanniskraut und weitere
  • Induktoren bzw. Inhibitoren von UGT (z.B. Lamotrigin, Valproinsäure, hormonelle Kontrazeptiva bzw. Gestagen /
    Östrogenpräparate, insbes. Ethinylestradiol).

Pharmakodynamische Interaktionen können sich hinsichtlich der sedierenden Eigenschaften z. B. mit Alkohol, Antihistaminika, Barbituraten, Antipsychotika und trizyklischen Antidepressiva ergeben.

Genetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)

Benzodiazepine werden in erster Linie durch CYP3A4/5 und CYP2C19 verstoffwechselt. Für CYP3A4 sind seltene genetische
Varianten beschrieben, die die Aktivität deutlich reduzieren; Varianten mit klinisch relevanter Aktivitätssteigerung sind gegenwärtig nur in sehr seltenen Einzelfällen bekannt. Für CYP2C19 sind hingegen genetische Varianten beschrieben, die
sowohl zu einer klinisch relevanten Verminderung, als auch Steigerung der Enzymaktivität bei bis zu 10% der Bevölkerung
führen. Pharmakogenetische Varianten von UGT Enzymen zeigen heterogene Effekte, was durch die funktionelle Redundanz der einzelnen Enzyme weiter verkompliziert wird.

Für NAT2 sind sowohl aktivitätssteigernde als auch aktivitätsmindernde genetische Varianten beschrieben.

 

Anforderung und Befundbewertung

Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln beinhaltet sowohl die Interpretation der Konzentrationen in Bezug auf den empfohlenen
therapeutischen Bereich, als auch die Beurteilung der applizierten Dosis, der Begleitmedikation und weiterer Erkrankungen. Um die dafür notwendigen Informationen zu erhalten, bitten wir Sie deshalb, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden.

Methodenbedingt werden alle Wirkstoffe in einem diagnostischen Lauf bestimmt. Dies gibt uns die Möglichkeit, Ihnen weiterführende Angaben zur Komedikationen (ohne zusätzliche Berechnung) geben zu können.

 

Material und Abrechnung

Die Medikamentenspiegelbestimmung ist im kurativen Fall ohne Einschränkung im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten. Pharmakogenetische Untersuchungen werden von privaten und bei einigen Indikationen (siehe Anforderungsschein Medikamentenspiegelbestimmung/ Pharmakogenetik) auch von gesetzlichen Kassen getragen. Für die mitanalysierten Wirkstoffe entstehen keine Kosten.

 

Material

Wirkstoffbestimmung:
Serum/Vollblut (Blutentnahme im steady state unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)

Pharmakogenetik:
EDTA-Blut oder Schleimhautabstrich

Genetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)

Benzodiazepine werden in erster Linie durch CYP3A4/5 und CYP2C19 verstoffwechselt. Für CYP3A4 sind seltene genetische Varianten beschrieben, die die Aktivität deutlich reduzieren; Varianten mit klinisch relevanter Aktivitätssteigerung sind gegenwärtig nur in sehr seltenen Einzelfällen bekannt. Für CYP2C19 sind hingegen genetische Varianten beschrieben, die sowohl zu einer klinisch relevanten Verminderung, als auch Steigerung der Enzymaktivität bei bis zu 10% der Bevölkerung führen. Pharmakogenetische Varianten von UGT Enzymen zeigen heterogene Effekte, was durch die funktionelle Redundanz der einzelnen Enzyme weiter verkompliziert wird.

Für NAT2 sind sowohl aktivitätssteigernde als auch aktivitätsmindernde genetische Varianten beschrieben.

Anforderung und Befundbewertung

Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln beinhaltet sowohl die Interpretation der Konzentrationen in Bezug auf den empfohlenen therapeutischen Bereich, als auch die Beurteilung der applizierten Dosis, der Begleitmedikation und weiterer Erkrankungen. Um die dafür notwendigen Informationen zu erhalten, bitten wir Sie deshalb, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden.

Methodenbedingt werden alle Wirkstoffe in einem diagnostischen Lauf bestimmt. Dies gibt uns die Möglichkeit, Ihnen weiterführende Angaben zur Komedikationen (ohne zusätzliche Berechnung) geben zu können.

Material und Abrechnung

Die Medikamentenspiegelbestimmung ist im kurativen Fall ohne Einschränkung im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten. Pharmakogenetische Untersuchungen werden von privaten und bei einigen Indikationen (siehe Anforderungsschein Medikamentenspiegelbestimmung/ Pharmakogenetik) auch von gesetzlichen Kassen getragen. Für die mitanalysierten Wirkstoffe entstehen keine Kosten.

Material

Wirkstoffbestimmung: Serum/Vollblut (Blutentnahme im steady state unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)

Pharmakogenetik: EDTA-Blut oder Schleimhautabstrich

Ansprechpartner

Ihre Ansprechpartner für die Wirkstoff­bestimmung und pharmakologische Bewertung:

Dr. med. Frank-Peter Schmidt
Dr. rer. nat. Steffen Bauer
Dr. med. Jakob Adler
Literatur

Literatur

  1. Hiemke et al., Consensus Guidelines for Therapeutic Drug Monitoring in Neuropsychopharmacology: Update 2017, Pharmacopsychiatry, 2017
  2. Goodman and Gilman’s The Parmacological Basis of Therapeutics 12th Edition, McGrawHill, 2011
  3. Fachinformationen der Hersteller (Alprazolam: Tafil, Pfizer, Stand 06/2016; Bromazepam: Normoc, Recordati Pharma, Stand 08/2013; Chlordiazepoxid: Librium, MEDA Pharma, Stand 10/2013; Clobazam: Frisium, Sanofi, Stand 04/2016; Clonazepam: Rivotril, Roche, Stand 09/2014; Diazepam: Diazepam-ratiopharm, Ratiopharm, Stand 10/2013; Dikaliumchlorazept: Tranxilium, Sanofi, 06/2015; Flunitrazepam: Rohypnol, Cheplapharm, Stand 04/2015; Flurazepam: Flurazepam real, Riemser, Stand 09/2016; Lorazepam: Tavor, Pfizer, Stand 06/2016; Lormetazepam: Noctamid, Bayer, Stand 01/2016; Medazepam: Rudotel, Teva, Stand 02/2017; Midazolam: Dormicum, Roche, Stand 11/2014; Nitrazepam: Mogadan, MEDA Pharma, Stand 01/2015; Oxazepam: Oxazepam-ratiopharm, Ratiopharm, Stand 03/2014; Prazepam: Demetrin, Pfizer, Stand 06/2016; Temazepam: Planum, Pfizer, Stand 06/2016; Triazolam: Halcion, Pfizer, Stand 06/2016; Zaleplon: Sonata, MEDA Pharma, Stand 10/2014; Zolpidem: Stilnox, Sanofi, 03/2017; Zopiclon: Ximovan, Sanofi, Stand 01/2017)

 

Autor

Dr. med. Dr. rer. nat. Leif Gerrit Hommers / Revision 2024 Dr. Frank-Peter Schmidt

 

Stand

September 2024

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